Die folgenden Gedanken sind die Zusammenfassung meiner Beiträge zu einer Diskussion der Sitzung der Fachgruppe Nachwuchsperspektiven der Gesellschaft für Musikforschung in Berlin am 21. Februar 2015.
Nicht wenige wissenschaftliche Interessensverbände und Vereine verfügen über ihr eigenes Publikationsorgan. Das gilt nicht nur für den wichtigsten musikwissenschaftlichen Verband, die Gesellschaft für Musikforschung, sondern auch für die Gesellschaft für Musiktheorie oder (man verzeihe mir meinen lokalen Fokus) die Gesellschaft für Bayerische Musikgeschichte und viele mehr. Die meisten solchen Zeitschriften teilen dabei eine Eigenschaft: Die Finanzierung der Beiträge, die in den einzelnen Heften erscheinen, übernimmt nicht etwa die herausgebende Institution, sondern es ist die öffentliche Hand, die die ökonomische Last trägt. Autoren sind in der Regel MitarbeiterInnen an Universitäten und öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen, die im Rahmen dieser Anstellung erarbeiteten Forschungsergebnisse unentgeltlich zur Veröffentlichung zur Verfügung stellen. Auch die HerausgeberInnen und MitarbeiterInnen können Ihre Aufgaben häufig nur durch die finanzielle Absicherung einer festen Stelle oder einer Projektfinanzierung bewältigen, die “vom Steuerzahler” und nicht von den Verbänden finanziert werden. Grundsätzlich sind diese Mechanismen nicht abzulehnen. Forschung gehört zu den Aufgaben von wissenschaftlichem Personal, und Publikationsmöglichkeiten mit hohen Qualitätsstandards werden dringend benötigt. Das Problem liegt in der Zugänglichkeit der Forschungsergebnisse. Zeitschriften wie etwa die Musikforschung werden in der Regel nur an die Mitglieder des Trägervereins ausgegeben, schließlich – so eine weit verbreitete Haltung – zahlen diese ja auch den Mitgliedsbeitrag. Dass der Anteil dieses Mitgliedsbeitrags an den Gesamtkosten der in den Artikeln enthaltenen Forschung verschwindend gering ist und – überspitzt formuliert – gerade einmal für den Druck und das Porto aufkommen kann, wird meiner Ansicht nach zu wenig bedacht. Hat die Öffentlichkeit nicht einen Anspruch auf den unmittelbaren und freien Zugang zu staatlich finanzierter Forschung? Insbesondere in einer Zeit, in der digitales Veröffentlichen in anderen Fächern bereits zur Normalität geworden ist, wird klar, dass auch musikwissenschaftliche Vereine und Verbände sich vor der Diskussion, ihre Zeitschriften open access – das heißt für jedermann zugänglich – erscheinen zu lassen, nicht mehr verstecken können. Für die Musikwissenschaft als akademische Disziplin bietet das digitale Publizieren nicht nur eine Chance, die eigene Sichtbarkeit im Kontext geisteswissenschaftlicher Fächer zu erhöhen, sondern auch die Möglichkeit, neue multimediale Publikationsformen zu erproben und zu entwickeln. Mit gutem Beispiel voran geht hier die bereits erwähnte Gesellschaft für Musiktheorie, deren Verbandsorgan sowohl open access als auch in gedruckter Form beim Olms Verlag erscheint.
Es ist dies freilich nur ein Teilproblem einer großen Diskussion um das Thema open access und um die Forderung nach freiem Zugang zu öffentlich finanzierter Forschung. Den großen Fachverbänden im Bereich der Musikwissenschaft/en kommt in diesem Bereich sicherlich eine große Verantwortung zu. Wer sonst könnte das Thema digitale Musikwissenschaft besser vorantreiben?
P.S.: Seit 2014 ist bekannt, dass zukünftig auch das wichtigste deutschsprachige Lexikon im Fach Musikwissenschaft MGG online erscheinen soll. Wie die beiden Print-Auflagen wird MGG-Online im Bärenreiter Verlag erscheinen. Open access wird hier allem Anschein nach keine Rolle spielen, obwohl dies aus meiner Sicht sehr wünschenswert wäre. Der Großteil der Forschung, die in diesem Lexikon zusammengefasst wird, wurde und wird öffentlich finanziert, und auch die AutorInnen der Artikel sind in den allermeisten Fällen Beschäftigte an öffentlichen Einrichtungen. Dass die freie Verfügbarkeit wissenschaftlicher Daten im Netz äußerst positive Auswirkungen haben kann, zeigt das Beispiel Deutsche Biographie. Das Portal erfreut sich größter Beliebtheit und hat eine ausgesprochen große Breitenwirksamkeit. Kaum ein Wikipedia-Artikel erscheint ohne einen Verweis auf den entsprechenden Artikel im wissenschaftlichen Angebot. Man könnte also fragen: Gäbe es ein besseres Mittel als ein frei zugängliches MGG, um Aufmerksamkeit für das kleine Fach Musikwissenschaft zu generieren?
Die Fachgruppe Nachwuchsperspektiven der Gesellschaft für Musikforschung veranstaltet in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Ralf Martin Jäger (Universität Münster) im Rahmen der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung in Halle am 30.9.2015 eine Podiumsdiskussion zum Thema Digital Musicology. Geleitet wird das Podium von Sebastian Bolz, Ralf Martin Jäger und Michaela Kaufmann. Die Veranstaltung will ganz grundsätzlich nach den (digitalen) Räumen fragen, in denen musikwissenschaftliche Forschung in Zukunft stattfinden wird. Nähere Informationen zur Veranstaltung werden in Kürze auf der Website der Fachgruppe Nachwuchsperspektiven veröffentlicht.