Englisch als Wissenschaftssprache: verstehen und verstanden werden
Es waren glückliche Zeiten, als jede noch jeden verstand: Die ganze Erde hatte ein und dieselben Worte, eine Sprache. (1 Mose 11,1) Das Streben nach der einen Wahrheit, nach absolutem Wissen, um Gott gleich zu sein, führte jedoch dazu, dass Gott herabstieg, die Sprachen der Menschenkinder verwirrte, um so den Turmbau von Babel zu verhindern und den menschlichen Hochmut zu brechen. Wo wären wir heute, wenn wir tatsächlich eine gemeinsame Muttersprache hätten und ohne jede Grenzen alles und jeden verstehen würden?
Doch solche Spekulationen sind müßig, denn die Geschichte hat es anders mit uns gemeint. Wir sprechen verschiedene Sprachen, und jede Sprache ist Zeugnis der Vielfalt verschiedener Kulturen, die sich in Literatur-, Kunst- und Musikgeschichten ausdrückt und nicht zuletzt auch die nationalen Wissenschaftstraditionen geprägt hat. War es für Generationen von deutschsprachigen Musikwissenschaftlern eine Selbstverständlichkeit, in ihrer Muttersprache zu publizieren, so hat sich die Situation in den letzten Jahren allerdings stark verändert. Wer international wahrgenommen werden will, muss Englisch sprechen und Englisch schreiben – daran scheint kein Weg vorbeizuführen.
Die Ursachen für diese Entwicklung, die man begrüßen oder bedauern mag, sind mannigfaltig und von historischer, wirtschaftlicher und politischer Natur (auf die ich hier nicht näher eingehen kann). Englisch ist gegenwärtig die drittweitest verbreitete Sprache – nach dem Chinesischen und dem Spanischen –, wird in den meisten Ländern der Welt als Zweit- oder Drittsprache in der Schule gelehrt und ist im multimedialen Alltag präsent ist. Die Hegemonie des Deutschen als Zweitsprache, zumindest im europäischen Raum, ist längst gebrochen.
Auch unser Fach, die Musikwissenschaft, ist nicht länger national, sondern längst global geworden. Aber was bedeutet das für unseren wissenschaftlichen Alltag? Positiv gesehen erweitert sich unser Horizont enorm, unsere Ansprechpartner sind über die ganze Welt verstreut, und durch das Internet gibt es keine aktuelle Entwicklung, an der wir nicht auch teilhaben können. In einem sonst so kleinen Fach wie der Musikwissenschaft fühlt man sich plötzlich als Mitglied einer grenzenlosen, internationalen Gemeinschaft von Expertinnen, in der man sich mühelos und ohne Sprachbarriere austauschen kann. Ist der Turmbau zu Babel also schließlich doch gelungen? Und ist das Englische sein Fundament, die wiedergefundene gemeinsame Sprache?
Nur scheinbar, denn wir – die Nicht-Muttersprachler – zahlen dafür einen hohen Preis. Wir müssen in einer Sprache kommunizieren, die wir nicht vollkommen beherrschen; wir brauchen Hilfe, um Texte auf hohem sprachlichen Niveau verfassen zu können; wir verlieren die Unmittelbarkeit unseres sprachlichen Ausdrucks, der unseren persönlichen Stil ausmacht; und jene, die auf einen besonders anspruchsvollen Stil setzen, um spezifische musikalische Sachverhalte oder andere komplexe Gedanken zu vermitteln, sehen sich auf verlorenem Posten.
Was kann man dem entgegenhalten? Bei aller Liebe zur Sprache und zur sprachlichen Eleganz dient wissenschaftliches Schreiben schlussendlich doch einem anderen Zweck als das literarische Schreiben. Obwohl die Art der Übermittlung von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist – wie etwas gesagt wird trägt zweifelsohne dazu bei, was gesagt wird –, geht es in der Wissenschaft doch zuletzt um die Übermittlung von Inhalten. Ausgezeichnete musikwissenschaftliche Texte sind erstmal eine ‘Ideenkunst’, bevor sie eine ‘Sprachkunst’ sind.
Anspruchsvoll schreibende Kolleginnen kann man daran erinnern, dass auch literarische Texte ohne große Reibungsverluste in andere Sprachen übersetzt wurden. Allen anderen empfehle ich, sich mit englischen ‘native speakers’ gut zu stellen, und wer nicht freundliche englische Kollegen oder sogar kompetente Familienmitglieder hat (wie etwa einen englisch publizierenden Partner oder eine Tochter, die im englischsprachigen Raum studiert), der muss auf professionelle Übersetzer zurückgreifen. Auch Universitätsverwaltungen sollten Hilfestellung anbieten, sei es personell oder finanziell. Denn international zu publizieren ist zwar hoch im Ansehen, wird in der Regel aber wenig unterstützt.
Zweifellos haben in dieser Situation jene einen ungemeinen Startvorteil, deren Muttersprache Englisch ist. Aber was hilft das Klagen? Jahrzehntelang hatten die deutschsprachigen Musikwissenschaftler die Sprachhoheit, und alle anderen mussten sich an ihnen orientieren. In Ungarn, Tschechien, Dänemark oder Niederlande – um nur einige Länder zu nennen, die an das deutsche Sprachgebiet angrenzen – war man immer schon gezwungen, sich in einer fremden Sprache auszudrücken, wollte man mit seinen Publikationen über seine nationalen Grenzen hinaus wirken. Stoßen wir uns also nur dann an der Hegemonie einer Sprache, wenn sie nicht die unsrige ist?
Die Alternative, dass in Ländern mit starken Wissenschaftstraditionen neben Englisch auch alle alten Kultursprachen – Deutsch, Französisch, Italienisch – im Umlauf bleiben, ist eine Chimäre. Denn seien wir doch ehrlich: Wer von uns beherrscht all diese Sprachen auf solch hohem Niveau, um anspruchsvolle wissenschaftliche Texte voll und ganz zu durchdringen? Mit dieser Forderung betrügen wir uns nur selbst und ignorieren zugleich, dass mittlerweile – der Globalisierung sei Dank – auch Spanisch und Portugiesisch, aber auch Russisch und Chinesisch zu den großen Weltsprachen zählen. Wer soll dem noch gerecht werden?
Sinnvoller und effizienter scheint es mir daher, sich auf das gemeinsame Englisch zu konzentrieren und daran seine Fremdsprachenfähigkeiten fachlich zu schärfen. Eine gewisse Hoffnung sind die technischen Möglichkeiten, die das Internet bietet. Schon heute ist es möglich, in einem englischsprachigen online-Journal denselben Text auch in der Muttersprache der Autorin zu publizieren, und es ist durchaus denkbar, dass in der fernen Zukunft mit Hilfe eines Übersetzungsprogramms jeder Text in jeder gewünschten Sprache auf einem ansprechenden Niveau zu lesen ist – auch wenn das heute noch sehr holprig vonstatten geht.
Jedenfalls hat es nicht viel Sinn, sich gegen eine Entwicklung zu sträuben, die nicht aufzuhalten ist. Wir können uns nicht leisten, in unserem Fach eine deutschsprachige ‘Blase’ zu bilden, aus der nichts herausdringt und in der anderssprachige Fachkollegen keine Teilhabe finden können. Es erscheint mir viel klüger, an dieser Entwicklung aktiv teilzunehmen, indem wir etwa unsere Studierenden schon von Anfang an mit englischsprachiger Fachliteratur konfrontieren und englische „abstracts“ ihrer Seminararbeiten verlangen. Auch Auslandssemester an einer englischsprachigen Universität tun das Ihre.
Zugleich bedeutet der Triumph des Englischen in der Wissenschaft noch lange nicht den sprachlichen Untergang der eigenen Muttersprache. Es gibt genug Gelegenheiten, die deutsche Sprache bei regionalen Veranstaltungen oder bei Publikationen mit einer gezielt eingeschränkten Leserschaft zu pflegen. Man muss auch nicht unbedingt Englisch sprechen, wenn es niemanden im Publikum gibt, der nicht auch Deutsch versteht. Und wenn es zum Beispiel um Schubertlieder geht, kann man meines Erachtens auf fremdsprachige Übersetzungen der Titel ohne Bedenken verzichten. Gretchen am Spinnrade klingt doch immer noch besser als Gretchen at the spinning wheel.
Ich persönlich selbst sehe es als lebenslange Herausforderung, meine sprachlichen Kompetenzen im Englischen zu verbessern. Immer noch lerne ich neue Vokabel und Redewendungen, und aus jeder Korrektur meiner englisch geschriebenen Texte ziehe ich eine weitere Lehre. Ein positiver Nebeneffekt ist die Fähigkeit, auch anspruchsvolle englischsprachige Belletristik in der Originalsprache lesen zu können, wodurch sich mir neue, aufregende Welten und Denkformen eröffnen. Aber nicht zuletzt bringt es mich im Fachlichen voran. Denn was mich als Wissenschaftlerin bei all dem antreibt, ist eine grenzenlose Neugier und das Bedürfnis nach Austausch mit meinen Kolleginnen. Und deshalb will ich auch alles verstehen können, und umgekehrt, von allen verstanden werden. Babel reloaded?
(mit Dank an Flora L. Brandl)
2 Kommentare
Vielen Dank für diesen ausgewogenen Beitrag!
Gerade für junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dürfte es schlichtweg unumgänglich sein, eine zweigleisige Strategie aufzubauen, bei der die Ausdrucksfähigkeit im Englischen vielleicht nicht zum gleichen Nuancierungsreichtum, aber doch möglichst zur gleichen Präzision trainiert wird wie die muttersprachliche.
Was in Andrea Lindmayr-Brandls Beitrag bereits angesprochen wurde, sind die leider völlig unterentwickelten universitären Hilfestellungen, auf die Nachwuchsforscher und -forscherinnen zurückgreifen könnten. Studierende sind dieser Vernachlässigung bereits voll ausgesetzt, wenn ab Beginn des Studiums mit aller Selbstverständlichkeit gefordert wird, englischsprachige wissenschaftliche Texte für die Erarbeitung von Referaten oder Seminararbeiten heranzuziehen. Für die meisten Studierenden dürfte das ein Sprung ins kalte Wasser sein.
Denn wenn davon die Rede ist, wie allgegenwärtig das Englische heute in unserer Alltagswelt ist, welche medialen Formate sind dabei denn eigentlich mehrheitlich gemeint? Kurzmeldungen in den Social Media, Menüführungen auf Websites und bei elektronischen Geräten, vertraut gewordene Phrasen aus der englischen Umgangssprache und andere Sprachfelder, die grundsätzlich weit entfernt sein dürften vom inhaltlichen (und oft eben auch sprachlichen) Anspruch wissenschaftlicher Texte (sicher: wie viel Trainingspotential würden die englischsprachigen AGBs bereit halten, die uns so oft vorgesetzt werden; aber wer liest die schon?).
Viele Kollegen, die in der Lehre tätig sind, werden wissen, wie schwer zahlreichen Studienanfängern und -anfängerinnen schon der Umgang mit wissenschaftlicher Literatur in deutschsprachiger Form fällt. Wie viel größer ist da das Frustpotential bei englischen Texten, wenn ihr Verständnis im Uni-Alltag unumwunden einfach vorausgesetzt wird? Die Pflege derartiger Sprachkompetenzen hat mit dem Anwachsen ihrer Bedeutung in der wissenschaftlichen Kommunikation nicht Schritt gehalten.
Es ließe sich zynisch entgegnen, dass all jene, die an derartigen Hürden scheitern, ohnehin nicht für eine wissenschaftliche Karriere in Frage kommen. Aber selbst am Ende einer solchen Selektion bleiben noch längst keine souveränen Englisch-Jongleure übrig. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Lesen und Verstehen und dem eigenständigen Verfassen eines englischsprachigen wissenschaftlichen Textes – Andrea Lindmayr-Brandls Beitrag bringt das klar zum Ausdruck –, und frühes Training könnte das erreichbare Niveau deutlich heben.
Kurz und gut: Die deutsche universitäre, geisteswissenschaftliche Lehre wird sich wohl früher oder später gezielt dieser Herausforderung stellen müssen – oder in Kauf nehmen, dass der eigene Nachwuchs wertvolle Energien in spätberufener, polyglotter Autodidaktik vergeudet.
Ich denke aber doch, dass das Ziel tatsächlich eine sprachliche Zweigleisigkeit sein muss. Es ist zwar abzusehen, dass der internationale musikwissenschaftliche Diskurs zunehmend taub werden wird auf seinem deutschen Ohr; die Bedeutung einer deutschsprachig gepflegten (Musik )Wissenschaft leitet sich aber ohnehin nicht primär hiervon ab.
In einer Gesellschaft, die sich als demokratisch versteht und auf den Schultern mündiger Menschen wähnt, kann sich eine aus öffentlicher Hand unterstützte und oft erst ermöglichte Wissenschaft trotz aller Differenzierungen und Spezialisierungen nicht auf die Höhen des Fachdiskurses zurückziehen und dabei die Verwurzelung in der Gesellschaft, die sie unterhält, kappen.
Anders gesagt: Von dem, was die Wissenschaften an neuen Erkenntnissen und Perspektiven freilegen, müssen auch jene profitieren dürfen, die zu den sogenannten Laien gehören (was wir alle tun, wenn man einmal von dem schmalen Bereich absieht, den wir als unser Spezialgebiet verstehen. Und nun platze bitte niemand heraus mit dem süffisanten Reflexkommentar, für die Musikwissenschaft interessiere sich ohnehin kein Laie, oder trage diese Diskussion zumindest in einem eigenen Beitrag aus.). Und welcher Sprache wird man sich hierbei bedienen, wenn nicht der Landessprache?
Ich stimme Andrea Lindmayr-Brandl vor allem darin zu, dass Lamenti, welcher Art auch immer, in dieser Frage eher fehl am Platz sind. Es bedarf pragmatischer Lösungen von denen „eine“ sein kann fortan und ausschließlich auf Englisch zu publizieren. Damit rennt sie zumindest bei mir offene Türen ein. Dies kann allerdings nur funktionieren, wenn wir auch (endlich) anglo-amerikanisch beim Schreiben denken lernen. Wir muss uns wissenschaftssprachlich sowohl viel mehr Eleganz und den Mut zur Einfachheit und Gelassenheit antrainieren (man lese manche Introduction unserer englischschreibenden Kolleg*innen!).
Wo ich der Kollegin allerdings widersprechen muss, ist beim naivem Gedanken, dass Inhalt in der von ihr geschilderten Form vor „Stil“ stehe – also das klassische „Form follows function“ gelte. Wissenschaftliches Schreiben lebt von beiden Faktoren zu gleichen Teilen ebenso wie der mündliche Vortrag, der sich keinesfalls im Ablesen eines druckreifen Lesetextes erschließen soll. Was nützt es einer Idee, einem Forschungsergebnis und dessen Produzent*in, wenn Leser*innen diese nicht einmal durchdringen, weil sie einen Text aufgrund einer latenten Unfähigkeit seiner Verfasser*in zur Vermittlung nach nur wenigen Sätzen in die Ecke werfen. Freilich changiert die Schwerpunktsetzung zwischen Inhalt und Stil auch bei Thematik und Methodik eines Textes: eine Analyse einer Oper Arnold Schönbergs, eine begriffshistorisch geprägte Studie zum Musikbegriff in der Literatur des 16. Jahrhunderts oder die Diskussion von akustischem Datenmaterial verlangen andere Darstellungsweisen. Dennoch versteht es sich von selbst, dass wir uns mit Texten ohne notwendigen Esprit und Sprachgefühl in jeder Sprache quälen, da existiert schlicht der Unterschied zur „schönen Literatur“, wie auch immer man die und diesen fassen möchte, nicht. Die Begriff „Ideenkunst“ und „Sprachkunst“ gehören also in eine Schreibfibel für Abiturienten aus dem Jahr 1880.
An was es freilich in unserem Fach fehlt sind entsprechende Fachwörterbücher – wir haben eine Menge Termini, deren Übersetzung nicht auf Bäumen wächst – und einen selbstverständlichen Umgang mit englischem Sprechen, Schreiben und Denken (da gehört freilich auch Vorbild und Input von allen Lehrenden dazu). Genauso sollten wir uns auch klar werden, dass Englisch nicht gleich Englisch ist…