Tatendrang?
Zum Kontext: Im November 2019 erschien im Verlag Königshausen & Neumann Musik verstehen – Musik interpretieren, eine Festschrift für Siegried Mauser zu dessen 65. Geburtstag, die vom Germanisten Dieter Borchmeyer und den Musikwissenschaftler*innen Susanne Popp und Wolfram Steinbeck herausgegeben wurde. Unter den Autor*innen dieses Sammelbandes sind zahlreiche prominente Namen aus Wissenschaft und Kultur.
Die Angelegenheit ist wirklich schlimm. In den letzten Wochen, Monaten und Jahren berichteten die Tages- und Wochenzeitungen regelmäßig über den Fall Mauser. Wer sich dazu ein Bild machen möchte, der sei hier auf eine einfache Suche bei Google-News oder auf den auf musiconn.kontrovers bereitgestellten Pressespiegel verwiesen. Aber vielleicht einmal von vorne: Die Staatsanwaltschaft ermittelte seit etwa 2015 wegen sexueller Übergriffe gegen Siegfried Mauser. Im April 2016 wurde der Prozess gegen den damaligen Rektor des Salzburger Mozarteums mit der Anklageverlesung eröffnet. Am 13. Mai 2016 erging ein erstes Urteil, das Entsetzen in der „Münchner Kulturwelt“ in Form von Leserbriefen auslöste.[1] Schon damals äußerten sich zahlreiche Prominente und Freunde von „Sigi“ Mauser; einige von ihnen finden sich auch 2019 in der Festschrift wieder. Der damalige Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Michael Krüger, sprach von einem „Komplott“ und von einer „Blamage für die Justiz“, Hans Magnus Enzensberger verglich in seiner Stellungnahme die Frauen, die Mauser angezeigt hatten, mit „tückischen Tellerminen“. Das Urteil (neun Monate Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurden) wurde am 27. April 2017 rechtskräftig.
Dabei blieb es aber nicht. In einem zweiten Prozess wurde Mauser wegen sexueller Nötigung zu zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dieses Urteil wurde im Oktober 2019 vom Bundesgerichtshof bestätigt. Aber schon während des ersten Prozesses begannen die Aktivitäten zur jetzt erschienenen Festschrift. Ziel war wahrscheinlich, nicht einfach nur aus Solidarität dem alten ‚Spezl‘ ein Geburtstagsgeschenk zu machen, sondern in der Hoffnung auf einen Freispruch der Justiz triumphal das „Wir-haben-es-immer-gewusst“ entgegen zu schleudern. Aber die Justiz hat sich davon nicht beeindrucken lassen.
Seit 2016 war Mauser bereits ein verurteilter Sexualstraftäter, seit 2017 war dieses Urteil rechtskräftig. Dies hinderte Dieter Borchmeyer nicht daran, seinen Freund weiterhin in der Öffentlichkeit zu verteidigen: Nachdem ein Vortrag Mausers in Borchmeyers Vorlesungsreihe zur Kulturtheorie an die Universität Heidelberg im Dezember 2018 abgesagt werden musste, kommentierte der Literaturwissenschaftler: „Eine Nachverurteilung durch gesellschaftliche und berufliche Ausgrenzung des Verurteilten verstößt gegen den Geist des Rechtsstaats und seine humanitären Grundlagen.“[2]
Als im November 2019 die Festschrift im Druck erschien, verteidigte Borchmeyer seinen alten Weggefährten weiter. Er (Borchmeyer) habe sich unabhängig vom Gericht ein eigenes Urteil über Mauser gebildet: „Weder die Herausgeber noch die Autoren würden einen Strich getan haben für Siegfried Mauser, wenn wir der Ansicht wären, dass er wirklich ein Gewalttäter wäre. Das können wir uns aufgrund jahrzehntelanger Erfahrung mit ihm nicht vorstellen.“[3]
Damit kann an den Gründen für das Vorantreiben dieser Festschrift kaum ein Zweifel bestehen. Zwar betonte Borchmeyer im gleichen BR-Interview, er erkenne das Gericht natürlich an, er könne sich aber sein eigenes moralisches Urteil – unabhängig vom Gerichtsurteil – bilden. Man braucht schon recht verschlungene Gehirnwindungen, um Borchmeyer in seine Parallelwelt der Freundschaft mit Sigi Mauser folgen zu können. Aber mit dem Satz „weder die Herausgeber noch die Autoren würden einen Strich getan haben“ bestätigt Borchmeyer auch noch im Namen derer, die an der Festschrift mitgewirkt haben, dass es ihnen eben nicht um die Trennung von Biographie und Werk zu tun war, sondern genau darum, mit dem Werk den für unschuldig gehaltenen Menschen zu ehren.
Ich weiß von zwei Personen, die in dieser Zeit ihre Mitwirkung an der Festschrift abgelehnt haben. Es könnten durchaus noch mehr Kolleginnen und Kollegen gewesen sein. Aber von denen, die jetzt als Beiträger in der publizierten Festschrift erscheinen, hat es niemand für nötig gehalten, aufgrund der – ja keineswegs unbekannt gebliebenen – Umstände, seinen Rückzug aus dem fragwürdigen Projekt zu unternehmen.
Jetzt ist es zu dem Skandal gekommen, in den zahlreiche Mitglieder der Bayerischen Akademie der Schönen Künste verwickelt sind. Unter den 37 Beiträger*innen zur Festschrift finden sich zwölf ordentliche Mitglieder der Akademie. Michael Krüger, der zur Festschrift das Gedicht Hören („für Sigi Mauser“), gespickt mit Anspielungen, beigesteuert hat, musste es als ehemaliger Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste erleben, dass sich sein Nachfolger und das gesamte Direktorium „mit Nachdruck“ von der Festschrift distanzierten:[4] „Die Akademieleitung hält jede öffentliche Ehrung ihres ehemaligen Mitglieds Siegfried Mauser für unangemessen“.[5] Es vergingen knapp drei Wochen, da begrüßte der gleiche Michael Krüger bei einem Festakt zum dreißigjährigen Jubiläum des Lyrik Kabinetts auch „liebe aufmerksame Leserinnen und Leser von Gedichten“. Und fügte hinzu, wie „offen“ es noch vor diesen 30 Jahren zugegangen sei, „ohne die heute gängigen ästhetischen und moralischen Absolutismen“.[6] Das Vorwort der Festschrift fordert, bei Mauser müsse man zwischen Leben und Werk trennen. Kopfschüttelnd muss man nun womöglich diagnostizieren, dass bei Aussagen bestimmter Personen vielleicht auch noch je nach Amt und Laune sortiert werden sollte. Auf die Diskrepanz zwischen Äußerungen als Privatperson und als Akademie-Mitglied angesprochen, zitierte Krüger aus einem Sitzungsprotokoll der Akademie vom 1. Juni 2017, wo es heißt: „Zur Angelegenheit Siegfried Mauser merkt Herr Krüger an, dass er persönlich, als einfaches Akademie-Mitglied, die Freude einiger anderer über die Verurteilung S. Mausers keinesfalls teilt. Unter dem Beifall aller Anwesenden spricht er vom Ziel der Akademie, Freunden auch in schwierigen Situationen beizustehen, vor allem wenn sie, wie im Fall Mauser, noch nicht rechtskräftig verurteilt sind“.[7] Doch schon damals musste die Unschuldsvermutung nicht mehr gelten (s. o.).
Im September 2019 zeichnete sich das bevorstehende Urteil des Bundesgerichtshofs bereits ab.[8] Damals hätten Verlag und Herausgeber noch die Notbremse ziehen können. Das ist nicht geschehen; wenige Tage später erklärte Borchmeyer, damit hätte man dem Verlag Schaden zugefügt.[9]
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Innerhalb der Gesellschaft für Musikforschung (Mauser ist ja promovierter Musikwissenschaftler und Pianist) ist aufgrund der Festschrift eine überaus lebhafte Diskussion entbrannt. Das Präsidium der GfM hat am 28. November 2019 erklärt, in der Sache keine Stellungnahme abgeben zu wollen. Seither haben sich von den 17 Fach- und Arbeitsgruppen der GfM schon zwölf einer schriftlichen Stellungnahme angeschlossen, die sich kritisch zu den Vorgängen positioniert. Als Sprecher der Fachgruppe Musikinstrumentenkunde zähle auch ich zu den Unterzeichnern.
Hier schreibe ich aber nicht in dieser Funktion, auch nicht als Professor einer bayerischen Universität, sondern als Wissenschaftler, als Privatmann und Familienvater zweier Kinder. Unsere Tochter hat gerade an der Hochschule das Staatsexamen abgelegt, in deren Räumen sich etliche der vor Gericht verhandelten Straftaten abgespielt haben. Das Haus kommt trotz intensiver Bemühungen der Hochschulleitung nicht zur Ruhe. Bei der Verabschiedung der Studentinnen und Studenten nach den absolvierten Abschlussprüfungen war die kabarettistische Veranstaltung durchzogen von Szenen, die auf sexistische Äußerungen bei Eignungsprüfungen ebenso anspielten wie auf (fiktive) ebensolche im Blog eines gewissen SigiBär. Die jungen Leute artikulieren damit ganz offensichtlich ihre eigene Interpretation von den Vorgängen.
Es scheint nicht unangemessen, jetzt auch ein Zuhören und eine Reaktion der etablierten Wissenschaftler*innen und Künstler*innen einzufordern. So wie die Bayerische Akademie der Schönen Künste es dann doch noch hinbekommen hat, sich von der Ehrung zu distanzieren, die einzelne Mitglieder als Privatpersonen dem Verurteilten haben zuteilwerden lassen, sollte Ähnliches auch dem Präsidium der Gesellschaft für Musikforschung möglich sein.
Es geht nicht nur um die an sich schon brisante Frage, ob eine wissenschaftliche und künstlerische Community es akzeptieren will, dass ein verurteilter Sexualstraftäter mit einer Festschrift geehrt wird, es geht auch darum, ob die Repräsentanten dieser Community dies schweigend hinnehmen, erklären sie damit doch stumm ihren Konsens mit der Einstellung Borchmeyers, man könne jenen persönlich für moralisch integer halten. Nicht reden ist in diesem Fall auch reden!
Im Vorwort folgt auf die inzwischen vielzitierten Formulierungen vom „weltumarmenden Eros“ ein Satz, der mit weitreichenden Setzungen operiert: „Seinem unanfechtbaren künstlerischen und wissenschaftlichen Lebenswerk und seinem für die zeitgenössische Musikwelt so unentbehrlichen Wirken droht dadurch ein Ende gesetzt zu werden.“ (FS Mauser, Vorwort der Herausgeber, S. 12). Die Sorge dürfte unbegründet sein. Wer befürchtet, das wissenschaftliche Lebenswerk Mausers könnte untergehen, den mag ein Verweis auf jene erste Festschrift (ja, so etwas gab es vor fünf Jahren: Musik – Werk – Philosophie. Schriften von Siegfried Mauser, Tutzing 2014) trösten, die tatsächlich dem Werk ein Denkmal setzte. Darüber sollte man nicht hinweggehen. Den naheliegenden Gedanken, mit einer zweiten Festschrift zu warten, bis Mauser seine Haftstrafe verbüßt hat, also etwa bis zum 70. Geburtstag, hat man wohl gar nicht erst in Erwägung gezogen.
[1] „Münchens Kulturwelt ist entsetzt“, Süddeutsche Zeitung, 27. Mai 2016.
[2] „Ein umstrittener Gastredner“ vom 11. Dezember 2018.
[3] „Dieter Borchmeyer verteidigt Festschrift für verurteilten Mauser“, Bayerischer Rundfunk, 9. November 2019.
[4] „Späte Abgrenzung“, Süddeutsche Zeitung, 15. November 2019.
[5] Stellungnahme der Leitung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste vom 14. November 2019.
[6] „Schatten über dem Festakt“, in der Süddeutsche Zeitung, 5. Dezember 2019.
[7] „Solidarität zu 99 Prozent hat Folgen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Oktober 2019.
[8] „Für Mauser könnte alles noch viel schlimmer kommen“, Süddeutsche Zeitung, 18. September 2019.
[9] Bayerischer Rundfunk, 20. September 2019.
Ein Kommentar
Man muss sich ja schon sehr wundern, dass es das GfM-Präsidium in keiner Weise für nötig gehalten hat, sich zu dieser Angelegenheit zu positionieren. Ein Stellungnahme, die sich ganz allgemein mit dem Thema Sexismus innerhalb von Universitäten und Hochschulen beschäftigt, dürfte ja eigentlich Selbstverständlichkeit und Selbstläufer sein. Wenn man sich ansieht, zu welchen (keineswegs unumstrittenen) Themen sich frühere GfM-Präsidien in Memoranda geäußert haben, kann/muss das Ausbleiben einer Äußerung in diesem Fall durchaus – und da ist Franz Körndle zuzustimmen – als Meinungsbekundung gewertet werden.