Musikwissenschaft als Auslaufmodell – Vermutungen und Unverschämtheiten
Vor kurzem haben Moritz Kelber und ich in einem Artikel mit vier „Provokationen“ nach Gründen für den Abwärtstrend gesucht, in dem sich die Studierendenzahlen der Musikwissenschaft seit Jahren befinden. Diesen Diskussionsvorschlägen möchte ich mit diesem Text noch einige weitere Punkte hinzufügen. Es handelt sich um Zuspitzungen beim Versuch zu verstehen, wie wir in die aktuelle Situation gekommen sind und wie wir sie möglicherweise für die Musikwissenschaft nicht nur als Studienfach, sondern als akademische Disziplin in eine Trendwende ummünzen könnten. Insofern betreffen sie einerseits Punkte, die innerhalb des Fachs zu diskutieren wären, andererseits Aspekte der Außenwirkung.
Einen Disclaimer möchte ich den Überlegungen voranstellen: Ich bin ein historisch und vorwiegend auf Deutsch arbeitender Musikwissenschaftler, der in München in einem Projekt beschäftigt, das die Edition der Werke eines einzelnen Komponisten zum Ziel hat. In diesem Profil begegnen sich mehrere Elemente einer ‚traditionell‘ ausgerichteten Musikwissenschaft, die es – so haben wir es in unseren Provokationen formuliert – herauszufordern gilt. Und dennoch ergeben sich für mich aus dieser fachlichen, regionalen und methodischen Sozialisierung gewisse Perspektiven, die ich gerne explizit in die Diskussion einbringen möchte. In diesem Sinne, als Anstoß zum produktiven Streit, geschieht dies unter dem expliziten Willen zur Überzeichnung und zur unverfrorenen Vermutung.
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Als leidenschaftlicher Besucher von Buchhandlungen und Antiquariaten führt mich mein Weg immer in die (durchaus nicht seltener oder schmäler werdende) Abteilung „Musik“. Diese Regale, die in der Regel vor allem Biographien, etwas seltener für den „klassischen“ Bereich auch Epochen- und Gattungsdarstellungen anbieten, verkörpern meinem Eindruck nach mehr als nur anekdotische Evidenz für ein Problem, das unsere Fächergruppe für ihre Außenwirkung hat: Der Bereich „E-Musik“ wird zumeist von Autor*innen versorgt, die (im weiteren Sinne) ‚akademische‘ Zugänge zu Musik repräsentieren. Darunter will ich Bücher von Musikwissenschaftler*innen verstehen, aber auch – gewiss nicht weniger marktrelevant – von Kritiker*innen und vor allem Musiker*innen, wobei offenbar Dirigenten (sic) besondere Einsicht und Sprechfähigkeit zugetraut werden. (Über die Qualität der Texte ist damit nichts ausgesagt!) Auffällig bleibt freilich, dass auch in diesem ‚akademischen‘ Segment bevorzugt Formen der Selbsterzählungen – gerne auch als „Gedanken über Musik“ – den Weg in die Regale finden.
Für den Bereich „U-Musik“ (was nicht meine Unterscheidung ist, sondern die Sortierung besagter Regale wiedergibt) gilt die Konzentration auf spezifisch musikalische, ‚akademische‘ Hintergründe nur eingeschränkt, der Aspekt der Selbsterzählung aber umso mehr: Hier schreiben entweder Insider*innen der Szene (Kritiker*innen, Techniker*innen, Musiker*innen) und Vertreter*innen anderer Fächer (Literatur-, Kultur-, Medienwissenschaften usw.) – oder es handelt sich um Übersetzungen englischsprachiger Texte. Um nicht falsch verstanden zu werden: Diese Publikationen sind so anregend und wichtig wie verdienstvoll. Und es ist hochgradig erfreulich, dass das Segment offenbar lukrativ genug für Verlage ist, um etwa Reihen zu pflegen, die in kompakter Form musikalische Inhalte vermitteln, und es ist ebenso ermutigend zu sehen, dass es viele Kolleg*innen unterschiedlicher fachlicher Herkunft gibt, die sich mit Musik beschäftigen – und vor allem, dass so viele einen Weg finden, diesen persönlichen (im Doppelsinn von an der eigenen Erfahrung, aber auch an Künstler*innen interessierten) Zugang zu formulieren, der sich nicht in erster Linie als musikwissenschaftlich beschreibt.
Was dieses Phänomen über die musikwissenschaftliche Interpret*innen- und Interpretationsforschung aussagt, wäre Thema für einen anderen Text. Auf einem anderen Blatt steht auch das Fehlen junger Autor*innen, das jener „Qualifikations“logik geschuldet sein dürfte, die Wissenschaftler*innen bis in ihr fünftes Lebensjahrzehnt beschäftigt hält. Das Schreiben von „Publikumsliteratur“ wirft in dieser Logik bislang keinen nennenswerten Reputationsgewinn ab und steht entsprechend weit unten auf der Agenda des sogenannten „Nachwuchses“. In diesen Zusammenhang gehört auch die deutsche Publikationspflicht von Dissertationen und die ganz anders geartete Buchkultur, die etwa im englischsprachigen Raum im Bereich musikrelevanter Literatur gepflegt und durch den Wegfall eben dieser Publikationspflicht möglich wird.
Angesichts dieser Abstimmung mit der Buchseite scheint es jedenfalls, als habe ‚die Musikwissenschaft‘ bestehende Gesprächsangebote nicht recht wahr- oder aufgenommen. Ich denke hier an Reclams 100 Seiten (wo mit erstaunlicher Konstanz musikalische Themen von Literatur-, Medien- und Politikwissenschaftler*innen bearbeitet werden) oder C. H. Beck Wissen – um nur zwei Beispiele zu nennen, die sich inhaltlich, aber auch etwa in Sachen Diversität an unterschiedlichen Enden des Spektrums bewegen. Im Bereich der Popularmusik steht dieser Publikationsmarkt in einem kuriosen Missverhältnis zur deutschsprachigen Forschung in diesem Feld. (Der Blick auf den internationalen Buchmarkt und auf die international ausgerichtete Forschung gerade im Bereich der Popular Music Studies wäre ein Thema für einen eigenen Beitrag.[1])
Nun folgt ein Schritt, der den Disclaimer oben nötig gemacht hat, denn im Grunde steht es mir nicht zu, Kolleg*innen, die zur Popularmusik forschen, Vorschläge zu machen – und bei all dem gilt es immer mit zu denken, dass die sogenannte historische Musikwissenschaft ihrerseits eine Öffnung gegenüber Phänomenen einer bestimmten musikalischen Vergangenheit recht nötig hätte. Dennoch werde ich den Verdacht nicht los, dass die Musikwissenschaft (wenn wir diesen Singular noch gebrauchen wollen) in ihrer Außenwahrnehmung insgesamt enorm davon profitieren könnte, wenn die akademische Popularmusikforschung präsenter in diesem Markt wäre. Das muss einerseits bedeuten, dass bestehende Forschung ihren Weg in publikumswirksame Publikationen findet. Es kann aber andererseits auch bedeuten, dass (dort zu Recht kritisierte) Methoden der historischen Musikwissenschaft für die Popularmusikforschung den Weg in die Regale der Buchhandlungen erleichtern könnten – dass die Popularmusikforschung also ihre Gegenstände und Methoden womöglich etwas historischer (im Gegensatz zu systematisch) fassen könnte, was nur auf den ersten Blick wie ein Aufruf zum aufgeklärten Konservatismus klingen mag. Ich will hier gewiss weder einer Kanongläubigkeit noch einer methodischen Mottenkiste das Wort reden – doch der Blick in die Verlagsprogramme zeigt, dass es eben vor allem interpreten- und damit personenzentrierte Zugänge sind, die beim Publikum nachgefragt werden. Genuin musikwissenschaftliche Forschung, die diese Nachfrage im Bereich Popularmusik für den deutschsprachigen Markt sättigt, scheint mir bislang wenig präsent. Nebenbei bemerkt gilt dies auch für einen weiteren Bereich, in dem Wissen über Musik eine nie dagewesene Präsenz besitzt: Formate wie YouTube-Kanäle, die sich Detailanalysen von Songs usw. widmen, oder Podcasts, in denen musikgeschichtliches Wissen verhandelt wird, werfen – zumindest in Deutschland – bislang keine entscheidende Aufmerksamkeit für das Studienfach Musikwissenschaft ab. Öffentlichkeitswirksame Wissenschaftskommunikator*innen mit musikwissenschaftlichem Hintergrund sind die Ausnahme, Figuren wie Mai Thi Nguyen-Kim, Harald Lesch, Ranga Yogeshwar, Sandra Ciesek kennt die Musikwissenschaft nicht. (Ein Schelm, wer hier an musikspezifische Pendants zu Richard David Precht denkt.)
Freilich kann es nicht das Ziel der Forschung sein, sich anzubiedern und in den Bereich der Liebhaberei zu begeben. (Davon hat die Musikwissenschaft fachgeschichtlich bereits genug zu bieten …) Doch würde die Musikwissenschaft gewiss davon profitieren, wenn sie in allen musikalischen Bereichen als Gesprächspartnerin selbstverständlicher zur Verfügung stünde. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Diese Überlegungen sollen nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sie richten sich nicht nur an Kolleg*innen, die zu Popularmusik forschen, sondern an das Fach insgesamt. Die Methoden der historischen Musikwissenschaft haben – davon bin ich überzeugt – potentiell ein breites Publikum. Es läge an den Forscher*innen, sie an Gegenständen zu diskutieren, die auch jenseits einer bestimmten Publikumsschicht ankommen.
Zwei weitere Bemerkungen scheinen mir in diesem Zusammenhang angebracht, die wiederum die Perspektive des sog. „wissenschaftlichen Nachwuchses“ betreffen: Wenn hochschulpolitische Entscheidungsträger*innen und Förderinstitutionen diesen „Transfer“ verstärkt fordern, dann müssen dafür natürlich auch die Bedingungen entstehen: Das betrifft einerseits die oben beschriebene sogenannte Qualifikationsphase. Es betrifft aber ebenso die Förderung von Forschung zur Popularmusik insgesamt, die etwa bei der DFG nur einen kleinen Teil der geförderten Projekte ausmacht. Doch auch an den Universitäten, in den Instituten und damit im Fach selbst lauert eine künstliche Beschränkung: Wissenschaftler*innen, die jenseits von Genre- und Methoden-Grenzen arbeiten – und sich in ihrer Forschung etwa für die Oper des 18. Jahrhunderts ebenso interessieren wie für „Kraftwerk“ – sind in der Denominations-Logik musikwissenschaftlicher Professuren bislang bestenfalls eine Ausnahme.
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Die Diagnose, dass es der Musikwissenschaft an öffentlichkeitswirksamen Gallionsfiguren mangelt, ist wohlfeil; ebenso die Frage, wie das Fach breiter, häufiger und lebendiger zum Beispiel in den großen Feuilletons (aber auch auf dynamischeren Plattformen, etwa den sozialen Medien) stattfinden könnte. Und doch kommt man beim Blick auf Nachbarfächer – ich denke an die Literaturwissenschaften, an die Soziologie, die Philosophie – nicht umhin, die Nicht-Existenz einer Tradition des (und der) Intellektuellen zu konstatieren. Musikwissenschaftliche „public intellectuals“ sind eine Ausnahmeerscheinung. Testweise könnte man sich überlegen, wie etwa Publikationsformate, die für benachbarte Fächer eine intellektuelle Tradition und ein theoretisches Selbstverständnis als Geschichte seiner Denker*innen abbilden (mit allen Problemen, die eine solche Kanonisierung zwangsläufig mit sich bringt), für die Musikwissenschaft aussehen würden. Ich denke hier etwa an die Beck’sche „Klassiker“-Reihe, in der u. a. Klassiker der Kunstgeschichte, der Soziologie oder der Geschichtswissenschaft vorgestellt werden. Obwohl ein personenzentrierter Zugang als solcher fraglos problematisch ist und die genannten Beispiele gewissermaßen Standardsituationen der Kritik darstellen (etwa aus Kanon-, postkolonialer oder Gender-Perspektive), können Formate wie diese eine Berechtigung haben, indem sie einen greifbaren Einstieg und Überblick in eine Wissenschaft bieten.
Wer sich etwas weiter aus dem Fenster lehnen wollte, könnte schließlich und noch einmal die traditionell große Nähe der (historischen) Musikwissenschaft zur musikalischen Praxis (im Sinne von: Sozialisierung von Wissenschaftler*innen als Musik Ausübende) in den Blick nehmen und fragen, ob sich in ihr eine Tradition des Anti-Intellektualismus erkennen lässt, verkleidet in einer vermeintlichen Konzentration auf „den Gegenstand selbst“. Immerhin ist dies alles kein Phänomen nur der Gegenwart: Während etwa die Literaturwissenschaften noch heute von einer Offenheit für theoretische Fragen, einer Debatten-Freudigkeit profitieren (wohlgemerkt: auch bei Studienanfänger*innen), die sich in den 1970ern geradezu als gesellschaftliches Phänomen darstellte, hat es eine musikwissenschaftliche Suhrkamp-Kultur nicht gegeben. (Nicht dass eine solche ausschließlich wünschenswert wäre – und gewiss hat dieses Phänomen verschiedene Ursachen!) Die damit einhergehende Präsenz in öffentlichen Debatten, vielleicht sogar ein gesellschaftsdiagnostischer Anspruch ist entsprechend schwach ausgebildet oder sichtbar, auch wenn das Potential im Gegenstand selbstverständlich angelegt wäre. Mein Verdacht aus Sicht der Musikwissenschaft lautet hier: „Uns“ fehlte und fehlt jener „lange Sommer der Theorie“, der in vielen Disziplinen jene Texte hervorgebracht hat, die noch heute diskutiert werden oder Anstöße zu Paradigmenwechseln gegeben haben. Diese schon so häufig beklagte Theoriearmut der Musikwissenschaft ist nicht nur ein Problem für die Komplexitätsfähigkeit des Fachs, auch wenn ‚Theorie-Import‘ natürlich stattfindet. Sie war und ist in der Hinsicht von Außenwirkung und Attraktivität für Studieninteressierte vor allem ein Hemmnis auf dem Weg zu einer Debattenkultur, die dem Fach und seinen Vertreter*innen ein öffentliches Profil erlaubt. Dies wäre – gerade auch in der Spannung zum oben Gesagten – die zunächst kontraintuitive zweite These: dass nicht das Einfache, vermeintlich auf ‚Vermittelbarkeit‘ und ‚Zugänglichkeit‘ Gemünzte, sondern das Komplexe das Medium ist, das den Weg in die Öffentlichkeit erlaubt. Öffentlichkeit wäre hier zu verstehen als breite öffentliche Wahrnehmung, die insbesondere auch von der Möglichkeit lebt, am interdisziplinären Gespräch teilzunehmen, nicht nur als Zaungast im Rang einer Geheimwissenschaft oder Bindestrich-Disziplin. Noch einmal: Die Existenz im (ja seinerseits immer wieder totgesagten) Feuilleton ist gewiss kein Indikator fachlicher Relevanz. Aber sie kann – in Verbindung mit einer lebendigen, medial gefestigten Beobachtungs-, Beschreibungs- und Diskussionskultur in unterschiedlichen Kanälen – ein Argument im Sinne von Studienentscheidungen sein.
In diesem Sinne wäre zu überlegen, wie Sammlungen zusammengesetzt sein könnten, die Grundlagentexte für die Musikwissenschaft bieten, etwa im Stile der Reclam-Einführungen mit Texten zur Theorie der Autorschaft, des Theaters, des Textes usw.[2] Immerhin handelt es sich gerade bei solchen Publikationen um eine Schnittstelle von Theoriearbeit, breitenwirksamer Zugänglichkeit und Einstiegs-Literatur. Allein: Hier fehlt es wiederum an einem Stand der Diskussion (und nicht unbedingt an den Texten selbst). Wer einmal das Vergnügen hatte, eine Einführung in die Musikwissenschaft zu unterrichten, wird vermutlich festgestellt haben, dass nicht nur die konkreten Textsammlungen, sondern vielmehr deren Grundlage – die gemeinsame theoretische Basis und die Übereinkunft über grundlegende Perspektiven des Fachs – fehlen.Solche Überlegungen gehen nach „innen“ wie nach „außen“: Es schiene mir durchaus reizvoll, Publikationen wie diese zu konzipieren, um Zugänge zur Musikwissenschaft für Einführungskurse verfügbar zu machen. Noch reizvoller und fruchtbarer schiene mir aber die innerfachliche Debatte darüber, welche Texte, welche Einflüsse sich die Musikwissenschaft selbst in ihre Fachgeschichte einschreiben will. Ein Effekt dieser Debatten könnte dann ein fachliches Profil sein, das sich im Publikumsbereich platzieren und die Musikwissenschaft in ihrer Breite und Offenheit wahrnehmbar macht. Dies wäre die Voraussetzung, um den sinkenden Studierendenzahlen nicht nur strategisch, sondern auch inhaltlich etwas entgegenzusetzen.
[1] Für diesen Hinweis danke ich Pascal Rudolph.
[2] Der Band Texte zur Musikästhetik stellt eine erfreuliche Ausnahme dar, der bezeichnenderweise wiederum von zwei Literaturwissenschaftler*innen herausgegeben wurde.
7 Kommentare
Mein erster Reflex ist die Beobachtung, dass die Musikwissenschaft ihre „Theorie“ ja inzwischen als eigenes Fach inzwischen komplett ausgegliedert hat. Gleichzeitig ist die Musiktheorie als (Hochschul-)Didaktisch zumidest orientiertes Fach wohl noch spezieller im Nücherregal repräsentiert als die Mudikwissenschaft. Aber auch dieses Verhältnis beschäftigte wohl mindestens einen weiteren Text…
Da würde ich zustimmen. Allerdings nehme ich in der Musiktheorie die »Theoriebildung« als kategorial anders – oder zumindest eingeschränkt – wahr. Das hat sicher auch mit ihrer pädagogischen Einhegung zu tun.
Danke für den Beitrag, Sebastian. Ich finde einige Überlegungen sehr wichtig. Einige Anmerkungen zu den Popular Music Studies, in denen ich mich seit ca. 15 Jahren bewege (zusammen mit meinen Erfahrungen des Studiums der historischen Musikwissenschaft):
1) Das Feld Popular Music Studies ist per se (auch schon in den Gründungsphasen etwa der IASPM Anfang der 1980er) enorm interdisziplinär. Genuin musikwissenschaftliche Ansätze waren sogar lange eher vernachlässigt und holen seit den 2000ern auf (abgesehen von wenigen bedeutenden Publikationen wie Middletons „Studying Popular Music“).
2) In den Popular Music Studies wird genauso Musikgeschichte geschrieben, mal mit Methoden anderer Disziplinen, mal den gleichen Methoden wie in der historischen MuWi, und öfter – nach meinem Empfinden jedenfalls – sogar etwas progressiver und experimenteller im Umgang mit neueren Ansätzen, auch weil das Feld die Auseinandersetzung damit voraussetzt (deswegen ist es problematisch, wenn man eben auch mal so etwas Popmusikforschung nebenher macht, aber von den Diskursen wenig Ahnung hat. Würde man zB bei der Bachforschung ja ebenfalls kritisieren, oder sehe ich das falsch?).
3) Ich glaube es ist wichtig zu verstehen, dass man in den Popular Music Studies bewusst eben nicht den „Fehler“ der historischen Musikwissenschaft (Kanonbildung, Geniekult und teilweise gar -Verehrung einiger weniger, usw.) begehen wollte. Das geht leider, da stimme ich dir zu, öfter auch an den Interessen einer breiteren Leserschaft vorbei. (By the way, dazu gehört auch ganz unbedingt, eben nicht einfach die Methoden etwa der Musikanalyse der historischen MuWi zu übernehmen, weil viele dafür schlichtweg zu kurz greifen und beschränkte Aussagekraft haben.)
4) Im Bereich Popular Music gibt es zB viele Expert:innen im Bereich Journalismus, logischerweise deutlich mehr als für den Bereich klassische Musik.
5) Durch den internationalen Charakter der Musik und der medialen Wirksamkeit (weil einfach mehr Interessenten als für klassische Musik) gibt es sehr viele großartige englischsprachige Podcasts, etc (auch mit musikwissenschaftlicher Kompetenz, zB Switched On Pop) – auch hier Zustimmung, es könnte mehr aus dem deutschsprachigen Raum kommen.
6) Vergleicht man die Verteilung von tatsächlichen Stellen an deutschen Unis/Hochschulen, gibt es recht wenige Spezialisierungen auf ausschließlich Populäre Musik – international und auch für die gesellschaftliche Relevanz des Faches MuWi katastrophal (man denke an den Rezo Diss vor ein paar Jahren). Selbst Stellen, die das auch mit abdecken sollen, werden nicht selten mit Menschen besetzt, die halt auch mal einen kleinen Artikel zu irgendas mit Pop gemach haben – das durchschaut mMn so gut wie jeder Journalist, Verlagsmanager, und Musikfan.
„Wissenschaftler*innen, die jenseits von Genre- und Methoden-Grenzen arbeiten – und sich in ihrer Forschung etwa für die Oper des 18. Jahrhunderts ebenso interessieren wie für „Kraftwerk“ – sind in der Denominations-Logik musikwissenschaftlicher Professuren bislang bestenfalls eine Ausnahme.“ — Ich fürchte, nicht nur in der Denominations-Logik… (Danke für den Beitrag!)
@Wolf Zaddach: ad 2) würde ich nicht ganz so eng sehen. „mal so etwas Popmusikforschung nebenher machen“ ist natürlich (gilt für fast jede Art von Forschung) Unsinn, wenn man es ernst meint, aber es spricht ja nichts dagegen, dass jemand einen Schwerpunkt in einem Pop-Bereich und einen anderen in der Alten Musik (oder was auch immer) hat. Genauso wie jemand ja bei den typischen Ausschreibungen in der historischen Musikwissenschaft sich ja möglichst in mehreren Epochen auskennen sollte, je weiter voneinander entfernt, desto besser (darauf hat man sich offenbar geeinigt). Will nur meinen: Es sind doch den Interessen und Vertiefungsmöglichkeiten und -lüsten überhaupt keine Grenzen gesetzt (wie traurig wäre das), und sich einerseits zur Popmusikforschung (oder einem Themenbereich daraus) zu bekennen heißt doch nicht, der historischen Musikwissenschaft abschwören zu müssen, im Gegenteil sähe dann vielleicht auch letztere ganz anders und vielleicht interessant(er) aus, angereichert durch andere Methoden und Sichtweisen (et vice versa, und in mehreren Umdrehungen)…
Ich habe etwas gezögert, zu antworten, aber mit dem zweiten Text zum Thema von Sebastian Bolz, drängt es mich nun doch, einige Gedanken beizusteuern. Mein Kommentar bezieht sich auf beide Texte – plus der Kommentare zum ersten Artikel.
Ein Festhaltenwollen am institutionellen Status quo – diesen Willen lese ich aus den Thesen und der Diskussion zu den „Anforderungen an die Musikwissenschaft in Zeiten sinkender Studierendenzahlen“ – ist sicherlich mit Blick auf einen überschaubaren Arbeitsmarkt für Musikwissenschaftler nachvollziehbar und ehrenwert. Ein Klammern an das Bestehende aus Gründen des Prestiges, der Sicherung akademischer Pfründe, aus Angst vor gesellschaftlichem und interdisziplinärem Bedeutungsverlust ist es freilich nicht. Geforscht wird, meine ich, immer, sobald die Notwendigkeit dazu gegeben ist, dort wo Aufklärungs- oder Verstehensbedarf besteht. Wissenschaftliche Neugier sucht sich ihren Weg, schon immer.
Konsequent weitergedacht gilt dies natürlich auch für die berufsausbildende Funktion. Es stellt sich doch die Frage: Für welche Aufgaben und Anforderungen außerhalb der notwendigen Qualifikationen für eine akademische Berufslaufbahn taugt denn ein musikwissenschaftliches Studium? Editionswesen? Für die Schulmusik? Für Letzteres reicht eine musikwissenschaftliche Grundausbildung. Für den Arbeitsmarkt im musikaffinen Medienbetrieb? Da spielt die E-Musik mit ihrem nahezu immer gleichen Repertoire, das dominiert, und einem Ranking der Einschaltquoten im einstelligen Bereich gesamtgesellschaftlich gesehen nur eine marginale Rolle; und braucht es im U-Musikbereich – produzierend wie reproduzierend – für das Füttern der Medienbestie tatsächlich zwingend Musikwissenschaftlerinnen? Was erwerben diese denn an besonderen Fähigkeiten, außer dem Verstehen einer Minderheitensprache? Notenlesen sollte man ja schon können, wenn man dies studiert. Was also an Originärem, das nicht auch durch jedes andere geisteswissenschaftliche, philologische oder historische Studium, vermittelbar wäre? Reicht für die Ausbildung zur praktizierenden Musikerin, auch Schulmusikerin, nicht eine musikwissenschaftliche Grundausbildung, geht es doch in erster Linie um das handwerkliche Beherrschen des Instruments? Ich rede hier nicht von der Innensicht unserer Disziplin und daraus abgeleiteten Ansprüchen, sondern von der Außenwahrnehmung, wie ich sie von jenem Bevölkerungsteil meines Umfeldes, der nicht mit musikwissenschaftlichem Interesse gesegnet ist, vermittelt bekomme
Martin Hufner (in der Kommentarspalte zu den vier provokationen) ist beizupflichten, der die eigentliche Initialfrage stellt: „Welchen Schaden erleidet hier eigentlich wer?“, die wiederum zu den wirklichen Kernfragen in dieser Sache führt: Von welchem Schaden reden wir? Schaden am Fach? An der Forschung (Antwort: nein); an der Berufsausbildung (nein; denn einen berufsbezogenen Ausbildungsbedarf, der den darauf wartenden Arbeitsmarkt sättigen soll, wird es nach den Gesetzen der Ökonomie auch weiterhin geben); am bestehenden System? Sicherlich. Aber, wenn wir nun zugeben müssten, dass dies zu Recht geschieht, weil es marode ist? An der Anerkennung? Nein, denn diese verdienen wir uns sicherlich nicht über die Anzahl an Professorenstellen. Die Antwort von Sebastian Bolz, dass wir durch den behaupteten Interessensschwund damit unseren Anspruch als „ernstzunehmendes akademisches Fach“ verlieren könnten, geht deshalb, meine ich, an der Sache vorbei, da sie– polemisch zugespitzt – die Ernsthaftigkeit unseres Faches an den Studienzahlen und Professorenstellen festmacht, also institutionell begründet, nicht mittels Forschungsinteresse und überzeugender Forschungsleistung.
Aus meiner Sicht bedeutet das prognostizierte „Wegbleiben von Lernenden mittel- und langfristig“, zwar möglicherweise, „dass weniger Mittel in Personal fließen“, aber auf keinen Fall, dass somit auch der „Fortbestand akademischer Forschung in der Musikwissenschaft“ gefährdet wäre. Wo gegenüber Mittel verwaltenden Entscheidern Forschungsbedarf überzeugend begründet werden kann, wird es immer unabhängig von Studierendenzahlen Forschung geben, nicht zuletzt auch jenseits etatisierter Planstellen an Hochschulen. Auch wenn das Einwerben schwieriger werden dürfte.
Zu These 1 und 2: Warum nur stellt keiner die eigentlich basale Frage, zu was und welchem Zweck wir forschend Musikwissenschaft betreiben? Welches Rätsel wir lösen wollen, das die Menschheit mit Hilfe der Musikwissenschaft bislang nicht zu lösen imstande ist und dessen Geheimnis nur diese spezielle Disziplin zu enträtseln vermag? Geht es um das generelle „Verstehen von Musik und ihrer Wirkmächtigkeit“, dann bin ich absolut überzeugt, dass die in These 1 vermutete allzu enge thematische Schwerpunktsetzung zutreffend sein könnte, und ebenso, dass, These 2, eine „musikalische Allesfresserei“, das Rätsel weder des Schwundes noch der oben formulierten Grundfrage nach dem Sinn unseres Faches nicht zu lösen im Stande ist, mithin auch kein größeres Studieninteresse wecken würde. Das ist Wunschdenken, zumal ein breiteres Fächerspektrum zu studieren ja bereits möglich ist.
Zu These 3: Zur Berufsvorbereitung war die Musikwissenschaft zu allen Zeiten gut. Das ist nicht neu. Aber Forschung existiert (hoffentlich) auch unabhängig von einem berufsausbildenden Studieren. Wenn die „aktuellen wissenschaftspolitischen Bedingungen auf die Trennung dieser beiden Felder“ (Forschung und Lehre) zulaufen sollten, wäre dies wohl tatsächlich ein Prozess der Gesundung und nur von denen zu beklagen, die den Status quo für naturgesetzlich gegeben halten. „Bessere Formate auf guten Sendeplätzen/Kanälen“ als eine der Rettungsmöglichkeiten anzustreben, wie Patrick Dziurla vorschlägt, wäre dann nur der Versuch, mit elaborierteren Mitteln etwas verkaufen zu wollen, was längst marode ist.
Und, liebe Barbara Eichner, dass Medienschaffende eher an „dämlichen Dirigenten oder einer hyperventilierenden Wagnerianerin“ interessiert seien, als an „Klischees dekonstruierenden“ Musikwissenschaftlerinnen, liegt natürlich an den medial geforderten Voraussetzungen. Die Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsmaschinerie giert nach meinungsstarken, emotional unterfütterten Statements statt nach Differenzierung. Leider gibt es allzu selten, soweit ich das wahrnehme, souveräne, renommierte, sprechbegabte Musikwissenschaftler, die mit ihrer Person und fachlichen Autorität bereit wären, sich auch populärwissenschaftlich verständlich (und damit außerfachliches Interesse weckend) medial zu äußern. Vielleicht ist es aber auch nicht nur eine Sache begrenzter persönlicher oder kommunikativer Fähigkeiten, sondern nicht wenig ein Defizit unserer Disziplin. Schließlich weiß jeder, der Musik hört und liebt, auch ohne Studium, was Musik ist, und kann „irgendwie“ mitreden. Und für das bisschen Musikgeschichte als Hintergrundinformation gibt’s Suchmaschinen, da findet man immer irgendwas (ja ich weiß, den Content muss ja auch Jemand einstellen; aber da reicht ja inzwischen ChatGPT).
Dass, wie Sebastian Bolz im Artikel oben schreibt, das „Schreiben von ‚Publikumsliteratur‘ […] bislang keinen nennenswerten Reputationsgewinn“ abwerfe und deshalb „entsprechend weit unten auf der Agenda des sogenannten ‚Nachwuchses‘ stehe, ist meiner Wahrnehmung nach nicht die Ursache, sondern nur ein weiteres Symptom unter vielen eines längst fragwürdig gewordenen elitären Wissenschaftsverständnisses, internalisiert in der „deutschen Publikationspflicht von Dissertationen“ und einer hierzulande „anders gearteten Buchkultur“. Wir beklagen einerseits unser Gefangensein im Elfenbeinturm und versuchen gleichzeitig, dieses Refugium zu verteidigen, zu rechtfertigen. Ich halte dies – sorry für diese Drastik und nicht persönlich gemeint – für ausgesprochen scheinheilig und wirklichkeitsfremd.
Glauben wir denn wirklich, man könnte jemanden Unbedarften für Editionstechnik interessieren? Wer, außer den im großen Markt der Berufstätigen verschwindend geringen Zahl an Lektoren, Operndramaturgen oder musikwissenschaftlichen Editoren, beispielsweise, sollte daran Interesse haben? Diese sind qua Tätigkeit unsichtbar, verschwinden allesamt hinter den von ihnen mitgestalteten Produkten (Notenausgaben, Opernproduktion, kritische Editionen).
Mit Musikwissenschaftlern und Themen der Musikwissenschaft generiert man nun Mal kein breites, vielleicht nicht einmal ein geringes Publikumsinteresse in den sozialen Medien, den Talkshows oder anderen populärkulturellen Formaten. Das ist vielleicht auch gar nicht erstrebenswert. Deshalb meine ich, wir sollten die hier diskutierte, als Bedrohung des Status quo empfundene Entwicklung als Chance nutzen, die Legitimation unseres Faches als akademische Disziplin grundlegend neu zu überdenken.
Mitunter hilft auch ein Blick in die Geschichte: „Die Genese der historischen Wissenschaften im frühen 19. Jahrhundert setzen die Erschütterung der abendländischen Tradition durch Aufklärung und moderne Industriegesellschaft voraus. Sie stellen den Versuch dar, das Verlorene reflektierend einzuholen und dadurch den Kontinuitätsbruch zu kompensieren“, so Joachim Ritter (Die Aufgabe der Geisteswissenschaften in der modernen Gesellschaft, in: Jahresschrift 4, 1961, der Gesellschaft zur Förderung der Westf. Wilhelms-Universität zu Münster). Wer Ritters Interpretation akzeptiert, kann sich daher der Konsequenz nicht verschließen, dass die historischen Wissenschaften zusammen mit der Tradition allmählich, seit Längerem schon und nicht erst heute, der Vergleichgültigung anheimfallen, und dass ihre Epoche sich zuletzt als eine bloße Interimsphase zwischen einer naturwüchsigen und einer endlich für überflüssig gehaltenen und in Vergessenheit geratenen Tradition erweisen mag. Was als Erkenntnis freilich nicht neu ist: Schon Nietzsches Zweite Unzeitgemäße Betrachtung hatte die historische Bedingtheit der historischen Bewegung aufgedeckt.
Eine Sendung im Deutschlandfunk vom 24. November 2006 mit dem Subtitel „Zur Situation der Musikwissenschaft in Deutschland“ brachte es mit O-Tönen von Christoph Wolff, Wolfgang Auhagen, Susanne Rode-Breymann und Peter Wicke damals bereits exemplarisch auf den Punkt. Ich zitiere wörtlich aus dem Skript: „Die Musikwissenschaft hat sich abgekoppelt vom Musikleben“ … „Wir haben ‚ne Bach-Ausgabe, ‚ne Mozart-Ausgabe, ‚ne Schubert-Ausgabe, ‚ne Brahms-Ausgabe, ‚ne Mendelssohn-Ausgabe“ … „und das bringt das Fach zum Tod“ … „das hat einfach mit der Wirklichkeit von heute alles nichts mehr zu tun“ … Auhagen: „Die Musikwissenschaft steckt in der Krise, sie hat es vielleicht noch nicht gemerkt“ und Wolff ergänzt: „ich sehe relativ schwarz, das gebe ich Ihnen offen zu“.
„Öffentlichkeits¬wirksame Wissen¬schafts¬kommuni¬kator*innen mit musikwissenschaftlichem Hintergrund sind „die Ausnahme“? Nein, lieber Sebastian, es gibt sie schlicht nicht. Auffällig ist doch gerade die Absenz oder auch Zurückhaltung fachintern (aber eben nur fachintern) denk- und sprachmächtiger Musikwissenschaftler*innen, wenn es um gesellschaftliche und kulturkritische Debatten geht, insbesondere im Feuilleton oder in interdisziplinären Kontexten. Ein gelegentliches publizistisches Räuspern anlässlich neuer musikwissenschaftlicher Projekte, oder beiläufige, nicht selten im Ton gereizte, Anmerkungen zu Veranstaltungen des Musiktheaters in der FAZ oder NZZ reichen hierfür sicherlich nicht aus.
Was Armin Nassehi in seinem Festvortrag auf der Hochschulrektorenkonferenz 2017 in Bielefeld für eine moderne Wissenschaft in der heutigen Gesellschaft forderte, wäre auch für die Musikwissenschaft essentiell [ich zitiere Nassehi]: Wissenschaft muss „einen Raum der Abweichungsverstärkung anbieten können“. Es brauche, „die Mentalität und die Bereitschaft, sich auf neue Fragestellungen einzulassen“. Wissenschaft muss, so Nassehi, „um gesellschaftlich relevant zu sein, an sich selbst Innen- und Außenperspektiven unterscheiden lernen. Solche Fragen nach dem Grenzregime könnte man Übersetzungsfragen nennen. Bräuchte Wissenschaft in einer so komplexen Umwelt nicht zunehmend die Fähigkeit, ihre eigenen Transferbedingungen nach außen stärker in den Blick zu nehmen und müsste sie dies nicht als wissenschaftliche Frage behandeln? Kluge Wissenschaft wird jedenfalls Fragen nach ihrer Praxistauglichkeit, nach ihrer Verwertbarkeit und ihrer gesellschaftlichen Relevanz offensiver formulieren müssen […] Und hierfür brauche es eine „Sozialfigur“, die John Stuart Mill schon im 19. Jahrhundert als denjenigen beschrieben hat, der in der Lage ist, die ausgetretenen Pfade des Gewohnten zu verlassen und die Gesellschaft mit Abweichung zu versorgen“, einen „methodisch kontrollierten Exzentriker“. Dass es der Musikwissenschaft „an öffentlichkeitswirksamen Gallionsfiguren mangelt“, mag ja zugegeben eine wohlfeile Diagnose sein. Sie ist aber leider zutreffend und im Sinne der Forderung von Nassehi ein grundlegendes Problem unseres Faches. Und das nicht erst heute.
Hinweis: Der Kommentar von Reiner Nägele würde auf diesem Blog nochmals als eigener Beitrag publiziert und kann als solcher weiter diskutiert werden: https://kontrovers.musiconn.de/2023/05/17/provokationen-replik/.
Lieber Sebastian,
vielen Dank für den Beitrag und die wichtige Diskussion. Meine Beobachtung als jemand, der in der Forschung der populären als auch nicht so populären Musik zuhause ist, ist, dass die Popularmusikforschung und die Popular Music Studies in Deutschland und auf der Welt mit ihren verschiedenen Dachverbänden, Forschungsnetzwerken und Arbeitsmöglichkeiten schon ziemlich weit ist. Ich stimme da Wolf und Nina in allen Punkten zu.
Insofern ist die Popmusikforschung als Vergleichsobjekt vielleicht eher ungeeignet, um den Niedergang der ‚Musikwissenschaft‘ zu konstatieren. Denn die Popmusikforschung steht ja auf eigenen Füßen. Was ihr aus meiner Sicht gut tun würde, wäre ein bisschen mehr Philologie. Aber vermutlich ist das das Einzige, was sie von ihrer großen Schwester lernen kann. Und es gibt ja auch ein paar Leute, die daran arbeiten…
… ich bin immer wieder überrascht, wie oft in der Literatur und sonstwo über „Musik“ geschrieben und gesprochen wird, und dann handelt es sich doch wieder nur um den alten bildungsbürgerlichen Blues.
Lieber Knut, vielen Dank für Deinen Kommentar, dem ich nur in einem Punkt widersprechen will: Es war nicht mein Anliegen, einen „Niedergang“ zu beschreiben, sondern eher eine Diagnose, verbunden mit einem Anstoß. Verfallserzählungen sind ja eine klassische Gattung, die ganz eigenen Gesetzen folgt …
Was Du (und die Kolleg:innen) über die Popular Music Studies schreibst, ist bestimmt richtig – ich kann das wie gesagt nicht im Detail beurteilen, da ich in diesem Gebiet nicht ausreichend „zu Hause“ bin. Meine Beobachtung war aber eine andere, und da, glaube ich, steht die Popularmusikforschung nicht „besser“ da als andere Fachbereiche: Auch die Popmusikforschung, die potentiell eine größere Öffentlichkeit ansprechen könnte, sorgt weder für erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für Musikwissenschaft noch für gesteigertes Interesse bei Studienanfänger:innen. Unbenommen: Dafür gibt es strukturkonservative Gründe, aber – das war die Zumutung – eben vielleicht auch inhaltlich-forschungsstrategische. Ob man das dann „Philologie“ nennen muss, sei dahingestellt; dieses „Einzige, was sie sie von ihrer großen Schwester lernen kann“ (ich würde lieber sagen: worüber man stärker in Kontakt kommen könnte), wäre aber doch ein ziemlich weites Feld.