Eine Konferenz zum Thema „Musik und Klimawandel“: Anmaßung oder Anpassung der Musikwissenschaft?

Flüchtlingskrise, Finanzkrisen, Pandemie – die ‚Krise als neue Normalität‘ bzw. die Vorstellung von einem anhaltenden Krisenzustand prägen zunehmend das gesellschaftliche Bewusstsein. Dabei stellt die Klimakrise langfristig und global die vielleicht größte Herausforderung dar.
Auch den Musikbetrieb stellt der Klimawandel vor neue (ästhetische) Herausforderungen: Ensembles und Instrumentenbau überdenken ihre Tätigkeit vor dem Hintergrund von Fragen künstlerischer wie ökonomischer Nachhaltigkeit. Komponist:innen und Dramaturg:innen sehen ihre neue (politische) Aufgabe in Krisenzeiten darin, den Klimawandel in Konzertprogrammen und Kompositionen zu thematisieren. Und Aaron S. Allen richtet für das noch junge Feld der Ecomusicology die (provokante) Frage an die Musikwissenschaft: ‚Is musicology part of the solution or part of the problem‘?

Mit diesen Formulierungen haben wir in einem CfP zu einer Tagung zum Thema „Musik und Klimawandel: Künstlerisches Handeln in Krisenzeiten“ eingeladen, die vom 15.–17.09.2023 an der Folkwang Universität der Künste (Essen) in hybrider Form stattfinden wird. Gerne nutzen wir vorab die Gelegenheit, in diesem Blogbeitrag einige grundlegende Fragen zu diskutieren: Welche Relevanz haben „relevante gesellschaftliche Themen“ für die Musikwissenschaft? Welche Rolle kommt den Methoden und Gegenständen unseres akademischen Fachs im Rahmen aktueller geistes- und kulturwissenschaftlicher Debatten über die Folgen des Klimawandels zu (wie sie etwa durch Bruno Latour und Dipesh Chakrabarty eingefordert werden)? Und kann bzw. muss Musikwissenschaft überhaupt zu allen Themen einen eigenen Beitrag leisten?

Unsere eigene Beschäftigung mit dem Thema „Musik und Klimawandel“ nahm ihren Anfang in der universitären Lehre: Die Auswirkungen der Klimakrise auf Musikbetrieb, Musikwissenschaft sowie auf die Kompositionen oder auch die Konzertprogramme, die in diesem Kontext bereits entstanden sind, haben sich als Thema erwiesen, das Studierende in Zeiten der Klimakrise gleichermaßen bewegt und motiviert, musikwissenschaftliche Zugänge zu erproben oder gar (neu) zu entwickeln. Es war die Vielfalt der Themen, die sich auch in selbst konzipierten Referaten der Studierenden zeigte, die eine endgültige Motivation zur Ausrichtung einer Tagung mit sich gebracht hat: Komponist:innen stellen sich der (ästhetischen) Herausforderung, die Klimakrise in Musik zu setzen – etwa im Rückgriff auf das Requiem, um der Trauer über die Zerstörung der Natur einen Raum zu geben. Klimatheorien bilden einen bislang weitgehend übersehenen Theoriehintergrund auch für Unterscheidungen „nördlicher“ und „südlicher“ Umweltbedingungen des Komponierens. Lassen sich Barockopern wie Les quatre saisons (Dresden 1719) von Johann Christoph Schmidt durch ihre Einbettung in die damalige Gartenkunst auch für das aktuelle ökologische Bewusstsein wiederentdecken? Welche dramaturgischen Konzepte liegen dem Klimawandel gewidmeten Konzerten zu Grunde? Und war die letzte Tournee von Coldplay wirklich so ökologisch nachhaltig, wie es von Veranstalterseite suggeriert wurde? 

Um es vorwegzunehmen: Nicht auf alle Fragen lassen sich bereits zufriedenstellende Antworten geben. Anmaßend wäre es tatsächlich, mithilfe musikbezogener Themen neue Lösungen für ein globales Problem liefern zu wollen. Jedoch sind die Auswirkungen der Klimakrise so groß, dass auch ein „kleines“ Fach wie die Musikwissenschaft (bzw. ein kommerzieller Player wie der globale Musikbetrieb in allen Sparten) sich zwingend damit auseinandersetzen muss. Denn wo immer es politischen Protest in freien Gesellschaften gibt, da ist Musik in diesen Protest und seine verschiedenen Formen eingebunden bzw. es entsteht Musik, die auf die Krise reagiert. Und wo immer künstlerische oder wissenschaftliche Aktivitäten stattfinden, da werden auch Emissionen freigesetzt, sodass sich eigentlich jeder und jede einzelne in den verschiedenen Rollen, die wir im Alltag und im akademischen Berufsleben einnehmen, auch als Teil des Problems empfinden müsste. Insofern lässt sich für die Auseinandersetzung mit dem Thema „Musik und Klimawandel“ tatsächlich von einer notwendigen Anpassung an neue gesellschaftliche Realitäten sprechen.

Die Konferenz möchte ein offenes Forum bieten, bei dem neben der akademischen Musikwissenschaft im engeren Sinne auch Erfahrungen aus studentischer Forschung, der akademischen Lehre und angrenzenden Disziplinen erstmals auch im deutschsprachigen Raum zusammenkommen. Dabei verstehen wir als Organisator:innen uns in jeder Hinsicht selbst als Lernende auf diesem Gebiet: bei Fragen, wie eine Konferenz über Nachhaltigkeit wiederum selbst nachhaltig organisiert werden kann, welche gesellschaftliche Aufgabe Vertreter:innen von Musikbetrieb und Wissenschaft in dieser globalen Krise zukommen kann, und welchen konkreten Beitrag wir als „historische“ Musikwissenschaftler:innen für dieses Thema ernsthaft liefern wollen.

Was die Debatten um die Zukunft des Faches Musikwissenschaft angeht, die für diesen Blog einen Themenschwerpunkt des Jahres 2023 darstellen, können die eingereichten Beiträge zumindest einige Fingerzeige geben. So ermöglichen es gegenwartsbezogene Forschungsthemen, alle Teilbereiche unseres Faches einzubeziehen: empirische und ethnologische Studien, philologisch-historische Perspektiven auf Aufführungsorte und komponierte Musik zwischen Wald und Wiese sowie Forschungsarbeiten zum aktuellen Klimaaktivismus und kritische Selbstbefragungen der Klimabilanz einzelner Institutionen.

Als Anregung für weitere Forschungen und Debatten können hoffentlich die Beiträge unserer Tagung dienen, deren Publikation für den Sommer 2024 bei transcript geplant ist; ein Flyer mit dem Tagungsprogramm kann unter https://musikwissenschaft.folkwang-uni.de/folkwang-tagung-musikwissenschaft-musik-und-klimawandel/abgerufen werden. Wir hoffen, mit der von uns organisierten Tagung zu der Diskussion um „Musik und Klimawandel“ beizutragen und freuen uns über kritische Anregungen.

Zu den Personen: Sara Beimdieke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Historische Musikwissenschaft an der Universität Siegen, Julian Caskel ist stv. Professor für Musikwissenschaft an der Folkwang Universität der Künste.

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