Da der Fokus dieses Beitrags auf einigen kritischen Beobachtungen im Kontext der Erfahrungen und des Erfahrungsaustausches der vergangenen Wochen liegt, sei eines vorausgeschickt: Die digitale Lehre funktioniert. Forschung und Lehre sind – zumindest in unserem Fach – nicht an das Gebäude der jeweiligen Institution gebunden. Wenn der Campus unzugänglich ist, kann es trotzdem weitergehen. Deutlich spürbar war und ist bei allen Beteiligten der Wille, dass das Sommersemester so gut und reibungslos wie möglich seinen Lauf nimmt.

Eine Fachgeschichte nach 1945 ist Bestandteil einer Kulturgeschichte des Kalten Krieges. So genannte Cold-War-Studies sind ein sehr junger Zweig der Geistes­­wissen­schaften. So gründeten wir 2006 in Los Angeles bei der American Musicological Society eine Cold War Study Group. Wie schreibt man die Kultur­geschichte eines geteilten Landes (exemplarisch für eine geteilte Welt), dessen einer Hälfte von den Westalliierten eine relativ offene und dessen anderer, kleinerer Hälfte von den Sowjets eine relativ geschlossene Gesellschaft verordnet worden war?

Zum Kontext: Im November 2019 erschien im Verlag Königshausen & Neumann Musik verstehen – Musik interpretieren, eine Festschrift für Siegried Mauser zu dessen 65. Geburtstag, die vom Germanisten Dieter Borchmeyer und den Musikwissenschaftler*innen Susanne Popp und Wolfram Steinbeck herausgegeben wurde. Unter den Autor*innen dieses Sammelbandes sind zahlreiche prominente Namen aus Wissenschaft und Kultur.

Zur Mauser-Festschrift scheint mittlerweile alles gesagt zu sein, was zu sagen ist – in zahlreichen Pressekommentaren und auch von Seiten der Musikwissenschaft, etwa in den Stellungnahmen einiger Fachgruppen in der Gesellschaft für Musikforschung. Im Raume steht jedoch noch der Vorwurf, die Kritiker*innen hätten die Festschrift nur bruchstückhaft gelesen.

Die Vorbereitung und Publikation von Musik verstehen – Musik interpretieren, einer Festschrift zu Siegfried Mausers 65. Geburtstag, haben in der akademischen Musikwissenschaft ebenso wie in der breiteren Öffentlichkeit eine weitreichende Kontroverse ausgelöst. Die Debatte reicht mittlerweile weit über den konkreten Fall hinaus ins Grundsätzliche:

Von den Herausgebern dieses Forums angefragt, einen möglichst „kontroversen, diskussionsanregenden“ Essay darüber zu verfassen, was sich Musikverlage heute „von den Kolleg*innen in den Universitäten und Forschungsinstituten“ erwarten, brachte ich das Thema unlängst in unsere Lektoren-Runde ein. Mit sechs promovierten Musikwissenschaftlern und vier weiteren Mitarbeitern mit Masterabschluss haben wir im G. Henle Verlag vermutlich die höchste privatwirtschaftliche Musikwissenschaftler-Dichte weltweit. Und tatsächlich kamen, zu meiner Überraschung, konträre Meinungen zutage. Bevor ich sie referiere, ein paar einleitende Sätze.

Seit der Gründung des „Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik“ 1978 sind vier Jahrzehnte vergangen, in denen enorm viel auf dem Gebiet der musikwissenschaftlichen Frauenforschung (heute der musikwissenschaftlichen Genderstudien) geschehen ist. Es sind Sammlungen und Archive entstanden, es sind institutionelle Etablierungen an Musikhochschulen und Universitäten gelungen, wie sie sich in dem seit 2008 erscheinenden Jahrbuch Musik und Gender spiegeln, das von der Fachgruppe Frauen- und Genderstudien in der Gesellschaft für Musikforschung und den Professorinnen, deren musikwissenschaftliche Professuren mit Gender-(Teil‑)Denominationen versehen sind, verantwortet wird.

 

Bei der Betrachtung, ob Musikwissenschaft politisch oder unpolitisch ist, hilft es im ersten Schritt weiter, zu differenzieren und die Komponenten der Frage einzeln sowie in ihrer inneren Struktur näher zu beleuchten. Dabei kommen verschiedene Ebenen in den Blick. Einerseits betreffen diese den Untersuchungsgegenstand der Musikwissenschaft, das heißt diejenigen wissenschaftlichen Fragestellungen, über die sich zu anderen Wissensdisziplinen abgrenzt und inhaltlich wie thematisch definiert. Daneben betrifft dies auch die Aussagen über Beobachtungsperspektiven der Musikwissenschaft.

Es gab einmal eine Zeit, da hielt man es für unstrittig, „die Musik, die Kunst der Töne, die Wirkung, die in uns erregt wird, zu den erstaunenswürdigsten Sachen“ zu zählen und sogar anzunehmen, sie sei „das Allerunbegreiflichste, das wunderbar-Seltsamste, das geheimnißvollste Räthsel“, das unsere Empfindungen erfassen könnte. Daher sei die Musik der „Seelenton einer Sprache, die die Allmacht unbegreiflich in Erz und Holz und Saiten hineingelegt hat“. Damit sei zu folgern, die „Kunstmeister offenbaren und verkündigen ihren Geist nun auf die geheimnißvollste Weise auf diesen Instrumenten“.

Es waren glückliche Zeiten, als jede noch jeden verstand: Die ganze Erde hatte ein und dieselben Worte, eine Sprache. (1 Mose 11,1) Das Streben nach der einen Wahrheit, nach absolutem Wissen, um Gott gleich zu sein, führte jedoch dazu, dass Gott herabstieg, die Sprachen der Menschenkinder verwirrte, um so den Turmbau von Babel zu verhindern und den menschlichen Hochmut zu brechen. Wo wären wir heute, wenn wir tatsächlich eine gemeinsame Muttersprache hätten und ohne jede Grenzen alles und jeden verstehen würden?